Funktionsanalyse: notwendige Diagnostik bei CMD
24. März 2022Probleme mit dem Kausystem führen häufig zu Schmerzen und anderen Beschwerden. Bei Verdacht auf eine solche craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) schafft eine Funktionsanalyse am Kiefergelenk Klarheit. Außerdem ist sie vor jeder kieferorthopädischen Behandlung und vor größeren zahnärztlichen Rekonstruktionen notwendig, um eine Funktionsstörung auszuschließen.
Unser Kauorgan ist ein perfekt funktionierendes System. Es besteht im Wesentlichen aus den Zähnen und Kieferknochen, den Kiefergelenken, miteinander agierenden Muskelpaaren sowie einem komplexen Band- und Gelenkkapsel-Apparat. Deren gemeinsames Zusammenspiel ermöglicht es uns, den Mund zu öffnen und zu schließen. Es lässt uns den Unterkiefer nach vorn und seitwärts bewegen, sodass wir abbeißen, kauen und sprechen können.
Wenn das Kausystem aus dem Gleichgewicht gerät
Durch Fehlfunktionen der Kaumuskeln und Kiefergelenke kann dieses sogenannte craniomandibuläre System (lateinisch cranium = Schädel; mandibula = Unterkiefer) aus dem Gleichgewicht geraten. Die Folge sind meist schmerzhafte Beschwerden: Es tut weh beim Mundöffnen oder Kauen, es knackt und reibt im Kiefergelenk. Kiefer, Zähne oder Ohren schmerzen. Manche Betroffenen berichten von dem Gefühl, dass ihre Zähne nicht mehr richtig aufeinanderpassen. Auch Kopfschmerzen können ein Zeichen einer CMD sein. Solche Funktionseinschränkungen des Kauorgans, die in seltenen Fällen auch schmerzlos sein können, werden unter dem Begriff craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) zusammengefasst.
Ist das Kausystem in seiner Funktion gestört, kann das eine geplante kieferorthopädische Behandlung verzögern oder sogar verbieten. Das Gleiche gilt für zahnärztliche Maßnahmen. Denn beides könnte das bereits beeinträchtigte System zusätzlich belasten. Eine kieferorthopädische Behandlung kann aber auch der gezielten Behandlung einer CMD dienen. Voraussetzung dafür: Die Ursachen der Störung müssen zuerst individuell abgeklärt werden. Eine enge interdisziplinäre Kooperation von Zahnärzten und Kieferorthopäden ist wichtig.
Welche Ursachen hat eine CMD?
Faktoren, die eine CMD auslösen können, gibt es viele. Vom Zähneknirschen oder -pressen über Fingernägelkauen, Zahnfehlstellungen, veränderte Zahnkontakte bis hin zu Problemen beim Zusammenbeißen. All diese Gründe können zu Über- oder Fehlbelastungen von Kaumuskulatur und Kiefergelenken führen. Selbst Fehlhaltungen des Kopfes oder Verletzungen, z. B. ein Sturz auf das Kinn oder den Rücken, kommen als Ursachen infrage. Ein durch einem Autounfall ausgelöstes Schleudertrauma kann langfristig Auswirkungen auf die Halswirbelsäule und den Kiefer haben.
CMD-Diagnostik erfordert Know-how und Erfahrung
Leidet ein Patient unter Problemen mit der Kaumuskulatur oder dem Kiefergelenk, müssen diese im Vorfeld einer kieferorthopädischen Behandlung oder zahnärztlichen Therapiemaßnahmen zwingend abgeklärt werden. Das geschieht mithilfe einer Funktionsanalyse durch den entsprechend ausgebildeten Fachzahnarzt für Kieferorthopädie oder Zahnarzt. Dieser klärt durch eine funktionelle Gebissanalyse ab, ob und inwieweit Funktionsstörungen des Kauorgans vorliegen und wie diese behoben werden können.
Was wird bei einer Funktionsanalyse des Kiefers gemacht?
Zunächst fragt der Kieferorthopäde oder Zahnarzt die Beschwerde-Vorgeschichte und eventuelle Vorbehandlungen in einer speziellen CMD-Anamnese ab. Anschließend erfolgt eine klinische und manuelle Funktionsanalyse. Diese Untersuchung bildet die Grundlage der Diagnostik bei CMD. Die Ursachen der Fehlfunktion werden ermittelt, Störungsumfang sowie Schmerzen erfasst und eine visuelle Analyse vorliegender Zahn- und Kieferfehlstellungen durchgeführt. Durch manuelles Abtasten der Gesichts- und Kaumuskeln werden schmerzhafte Bereiche ermittelt.
Die Beweglichkeit des Unterkiefers, Funktion und Belastung der Kiefergelenke sowie die Kontaktverhältnisse der Zähne werden geprüft. Auch psychosoziale Aspekte wie z.B. Stress werden als mögliche Ursachen abgeklärt.
Bestätigt sich der Verdacht auf eine CMD, können ergänzende Untersuchungen zum Einsatz kommen, die eine noch differenziertere Diagnose ermöglichen (instrumentelle Funktionsanalyse). Bei der instrumentellen Funktionsanalyse stellt man Lage und Bewegungen der Kiefergelenke dreidimensional dar und analysiert sie. Dabei können Gipsmodelle und ein sogenannter Artikulator helfen, mit dem man die Gelenkbewegungen des Patienten simuliert. Alternativ können auch computergestützte Verfahren die Bewegungen und Druckverhältnisse digital abbilden. Röntgenuntersuchungen oder andere bildgebende Verfahren wie die Kernspintomographie können je nach Indikation sinnvolle Ergänzungen sein.
Aufbissschienen: wirkungsvolles Therapiemittel bei CMD
Zur Therapie craniomandibulärer Dysfunktionen haben sich herausnehmbare Aufbissschienen im Ober- oder Unterkiefer bewährt. Die Tragezeit wird individuell vom Zahnarzt oder Kieferorthopäden anhand der Diagnose festgelegt. Die Schienen helfen der verspannten Kaumuskulatur, sich zu lösen und schützen die Zähne vor weiterer Abnutzung. Die Kiefergelenksschienen dürfen nicht mit Schienen zur Zahnkorrektur (Aligner) oder Schienen zur Retention (Halteschienen nach kieferorthopädischer Behandlung) verwechselt werden.
Soll jedoch die Struktur und Stellung der Kiefergelenke verändert bzw. die gesunde Kiefergelenksstellung wiederhergestellt werden, werden individuelle adjustierte Schienen eingesetzt. Solche Positionierungsschienen werden aufwändig gefertigt und berücksichtigen die Lage des Unterkiefers im Zusammenspiel von Kaumuskulatur und Kiefergelenken. Eine spezielle Bissnahme und Bissregistrierung sind Voraussetzung für die zahntechnische Umsetzung. Durch die therapeutischen Aufbissschienen werden die Kiefergelenke neu zentriert.
Darüber hinaus kann mithilfe physiotherapeutischer oder osteopathischer Maßnahmen die Kaumuskulatur gezielt trainiert werden. Schmerzhafte CMD-Beschwerden lassen sich so erfolgreich behandeln. Ist die Schienentherapie allein nicht erfolgreich, muss man abklären, ob weitere Behandlungsoptionen notwendig sind. Diese können z. B. eine kieferorthopädische Korrektur mit Zahnspangen oder Alignern, die zahnärztliche Rekonstruktion von Zähnen, eine prothetische Bisshebung oder sogar chirurgische Eingriffe sein.
Gesetzliche Krankenkassen übernehmen keine Kosten für die Funktionsanalyse des Kausystems
Leider wird die für eine CMD-Diagnose unabdingbare Funktionsanalyse von Kaumuskulatur und Kiefergelenken nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen berücksichtigt und gesetzlich Versicherte müssen die wichtige Investition in die Funktionsgesundheit des Gebisses selbst tätigen. Das Sozialgesetzbuch V (SGB V) regelt im § 28, Abs. 2, Satz 8, dass funktionsanalytische und funktionstherapeutische Maßnahmen keine vertragszahnärztlichen Leistungen sind.. Im GKV-Bereich sind diese obligaten Leistungen daher vom Patienten zu bezahlen. Eine zahnärztliche Zusatzversicherung kann sinnvoll sein.
Die Regelungen zur Kostenbeteiligung der gesetzlichen Krankenlassen an Aufbissschienen und Rezepten zur Physiotherapie sind sehr komplex und sollten individuelle mit dem Zahnarzt oder Kieferorthopäde besprochen werden.
Fazit:
Die Durchführung der Funktionsanalyse vor größeren zahnmedizinischen Rekonstruktionen und einer kieferorthopädischen Behandlung ist aus forensischen und medizinischen Gründen unumstritten. Dennoch wird gerade von Internetanbietern der Alignertherapie dieser zahnmedizinische Standard unterschritten.
Quellen:
- S3-Leitlinie "Diagnostik und Behandlung von Bruxismus"
- Das Gesundheitsportal medondo.health
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